IMMUNSYSTEM – EIN WUNDERWERK DER NATUR

WAS NÄHRT UNS UND WAS GEFÄHRDET UNSERE HOMÖOSTASE?

ÜBERBLICK

Unser Immunsystem schirmt uns nicht ab, es trennt uns nicht von der Außenwelt und unterscheidet auch nicht zwischen “fremd” und “eigen”. Diese Betrachtung ist ebenso obsolet wie die harschen Worte, die im Zusammenhang mit dem Immunsystem immer wieder bemüht werden. Wir sind nicht in einem ständigen “Abwehrkampf” und Bakterien sind nicht “feindlich” oder müssen “bekämpft” werden. Ganz im Gegenteil! Alles was wir über die Haut und Schleimhäute aufnehmen ist fremd. Auch Vitamine und Nährstoffe, alles was wir trinken, essen und mit dem wir direkt in Kontakt kommen. Wäre es die Aufgabe, dies alles abzuwehren, würden wir nicht überleben können. Was also ist die Anforderung an unser Immunsystem, dessen Tätigkeit immer wieder mit “Stärkung der Immunabwehr” beschrieben wird? Bei differenzierter Betrachtung ist es seine Aufgabe zu unterscheiden, was uns nährt und was uns gefährdet. Dieses hochkomplexe System arbeitet mit allen anderen Systemen zusammen und ist in jedem Augenblick bereit und meist auch in der Lage, unser Gleichgewicht – die Homöostase, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Wir sind a u c h unser Immunsystem. Unser Geist und unser Körper sind nicht irgendwie verbunden, das würde eine Trennung implizieren. Sie sind eins; wir sind eins. Alle Komponenten in uns sind mit allen Gegebenheiten um uns herum, aber auch mit allen Gedanken, die wir uns machen, Erlebnissen, die wir hatten, Gefühlen und Tätigkeiten verbunden. Schön ist, dass diese jahrtausende alte Erkenntnis sich in der Medizin und Wissenschaft mehr und mehr durchsetzt. Zahlreiche Untersuchungen führen zu einem langsamen und grundlegenden Wechsel der Paradigmen. Es ist evidenzbasiert völlig klar, dass unsere Perspektive auf die jeweilige Situation und unser Umgang damit großen Einfluss auch auf die als autonom ablaufenden Regulationsvorgänge im Körper haben.

Aus didaktischen Gründen und um uns dem Verständnis anzunähern, können wir dennoch eine Trennung einzelner Bestandteile des Immunsystems vornehmen. Wir schauen uns den Aufbau des Immunsystems an und werfen einen einfachen, aber tiefen Blick auf seine Funktionen und Interaktionen. Wenn alles gut läuft, vertieft dies unser Verständnis davon, wie und warum jeder Atemzug, alles was wir essen und sogar das, was wir denken und fühlen und welchen Sinn wir einer Tätigkeit beimessen, einen großen Einfluss auf die Funktion des Immunsystems haben.

Um unser intellektuelles Verständnis zu nähren, können wir grob zwei große Bereiche – das angeborene und das erworbene Immunsystem – und darin drei abgrenzbare Funktionseinheiten unterscheiden.

ANGEBORENES IMMUNSYSTEM

Bereits wenn wir auf die Welt kommen, sind wir meist als kleine menschliche Wesen nach der Entwicklung im Mutterbauch in der Lage, Nährendes von Gefährlichem zu unterscheiden und Ersteres in uns aufzunehmen. Nach der relativ geschützten Zeit im Uterus kommen wir in eine Welt voller fremder Eigenschaften, Substanzen, Erregern und Nährstoffen. Einige davon sind lebenswichtig, andere tödlich. Unsere Haut und Schleimhäute sind die ersten Kontaktflächen und ihre Qualität von entscheidender Bedeutung. Das angeborene Immunsystem tritt schnell in Aktion, kontrolliert, markiert und umhüllt, leitet weiter oder tötet alles, womit wir in Kontakt kommen. Es arbeitet kontinuierlich und das so genannte Mikrobiom ist seine äußere, wichtige Barriere. Unzählige Bakterien, Viren, Parasiten und anorganische Substanzen befinden sich auf unserer Haut – außen und innen – , bilden eine dünne Zellschicht, die insbesondere an den Körperöffnungen sehr spezialisiert hochaktiv ist. Das Mikrobiom unterscheidet sich je nach Lokalisation und Anforderung und ist individuell verschieden, es ist lebendig und entwickelt sich mit jedem Kontakt zur Außenwelt bereits vor unserer Geburt. Je breiter wir aufgestellt sind, desto besser funktioniert die Schleusenfunktion ins Körperinnere. Gute und hilfreiche Bakterien, Viren, Pilze usw. müssen eingelassen und andere abgehalten werden. Der Schlafsand, den wir manchmal morgens aus unseren Augen entfernen, ist Zeichen einer erfolgreichen Abwehr. Es handelt sich um abgestorbene Bakterien und andere Eindringlinge, die ansonsten über die Augen in den Körper eingedrungen wären.

Ist ein fremdes Element, Lebewesen oder Virus durch die erste Schicht der Haut-Mikrobiom-Barriere gedrungen, dann übernimmt die zweite Schicht des angeborenen Immunsystems mit im Körperinneren befindlichen Strukturen die weitere Kontrolle und Abstimmung. Erreger oder Substanzen, die als gefährlich eingestuft werden, werden erkannt, markiert und umhüllt oder sofort abgetötet. Wichtige Faktoren dieser zweiten Barriere sind das Komplementsystem, Boten- und Kommunikationsstoffe wie Interleukine und Zytokine, Tumornekrosefaktor und viele andere, sowie die weißen Blutkörperchen – also die Lymphozyten und Leukozyten mit ihren vielen Unterkategorien. Eine gute Abstimmung all dieser Zellen und Botenstoffe ist der Schlüssel zur Herstellung oder Erhaltung unserer Homöostase.

Das angeborene Immunsystem kommuniziert die Gefahr (Interleukin), kennzeichnet die Eindringlinge (Komplement System involviert) und sorgt dafür, dass diese getötet und abtransportiert werden (Killerzellen und so weiter).

ERWORBENES ODER ADAPTIVES IMMUNSYSTEM

Das erworbene Immunsystem ist der zweite große Bereich unserer Widerstandsfähigkeit und kreiert unsere eigentliche Immunität. Immun sein heißt unberührt, resilient und stabil. Dieser Bereich ist zellulär und ortsgebunden, residiert beim Erwachsenen in den Stammzellen des Knochenmarks und produziert die Antikörper (IgM, IgG, IgA) indem es die Fremdkörper in ihrer Form nachbildet und Proteine bildet, die beim erneuten unerwünschten Eindringen schnell mobilisiert werden, um die Gefahr abzuwenden.

Es hilft, darüber klar zu sein, dass dieser zweite Bereich vom Moment unserer Zeugung adaptiert, also angepasst wird und sich zeitlebens entwickelt. Diese Entwicklung ist notwendig, um in den ständig wechselnden Milieus unserer Umwelt ein stabiles inneres Gleichgewicht aller Systeme und Zellen, unseres Denkens und Fühlens sowie unserer Wechselwirkung und Belastbarkeit im Umgang mit allem, was uns umgibt, zu gewährleisten. Unsere sogenannte Homöostase ist im ständigen Wandel und beschreibt unser individuelles Fließgleichgewicht. Wer nun stutzt und sich fragt, was unser Denken und Fühlen mit unserer erworbenen Immunität zu tun hat, kennt vielleicht von sich selbst, wie sich genau diese Bereiche verändern, wenn wir krank sind. Die einen möchten gerne umsorgt werden, andere ziehen sich eher zurück. Wir entwickeln höhere Körpertemperaturen, neigen zur Schläfrigkeit und suchen die Ruhe. Unsere Gedanken ziehen sich von der Außenwelt und den vermeintlich wichtigen Aufgaben zurück, wir entwickeln Lichtempfindlichkeit und fühlen uns schlapp und benebelt.
Viele Tipps unserer Großmütter oder Eltern, der Volksmund und naturheilkundlich bewanderte Menschen nutzen dieses Wissen, um uns durch schwierige Situationen hindurch zu geleiten oder uns davor zu bewahren. Eigentlich ist uns allen klar, was die Neurowissenschaften in Zusammenarbeit mit angrenzenden Fachbereichen wie der Psychologie, Psychiatrie, Biologie, Philosophie und Medizin jetzt immer wieder untermauern: Alles hängt mit Allem zusammen und wurde schon in den uralten Schriften Indiens mit SARVAṂ SARVĀTMAKAM als ewiges Prinzip exploriert. Was heißt das für uns als Menschen und insbesondere für YogalehrerInnen und TherapeutInnen? Wie können wir unser Immunsystem balancieren? Welche Einflussmöglichkeiten haben wir?

WAS KÖNNEN WIR TUN, UM UNS ZU NÄHREN UND UNSER IMMUSYSTEM IN BALANCE ZU BRINGEN BZW. ZU HALTEN?

RITUALE

Im Kontext des Yoga und Ayurveda gibt es eine Vielzahl gesunder Alltagsrituale, für die wir modernen Menschen uns oft kaum mehr Zeit nehmen. Ein Lichtblick ist es, dass wissenschaftliche Untersuchungen sich in den letzten Jahrzehnten diesen Vorschlägen auf eine undogmatische Art und Weise angenommen und ihre Wirksamkeit überprüft haben.
Morgen- und Abendrituale zur Regulation unseres Biorhythmus wurden von der Altersforschung ebenso akzentuiert wie Rituale zur individuellen und kollektiven Hygiene.
Mund- und Zahnreinigung, Ölziehen und die Aufnahme von morgendlichem Tageslicht sowie eines Üungsprogramms zur täglichen körperlichen Ertüchtigung, Protokolle zur Atemachtsamkeit und Atemlenkung, Routinen von Ruhe- und Entspannungsphasen zeigen eine außerordentliche Effektivität zur Verlängerung unserer Gesundheitsspanne und des Lebensalters.

BEWEGUNG

Mir fällt keine Erkrankung ein, die nicht durch eine Anpassung der körperlichen Aktivität zu beeinflussen ist. Sei es das Spazierengehen oder regelmäßige Workouts, Āsana-Praxis oder andere Aktivitäten, sie bilden die Grundlage zur Behandlung der Herzkreislauf Erkrankungen, der Prophylaxe und Behandlung mentaler Störungen, Darm- und Brustkrebs sowie der Osteoporose und der Sarkopenie. Unsere Muskulatur ist unser größtes und bedeutendstes Stoffwechselorgan im Hinblick auf die Regulation der Blutfette, Zuckerwerte und vieles andere mehr. So gut es geht, so variantenreich und sanft wie möglich und regelmäßig durchgeführt, ist Bewegung einer der Pfeiler unserer Gesundheit.

SCHLAF

Wie wichtig Schlaf zur Regeneration und damit zur Gesunderhaltung oder Gesundwerdung von Körper und Geist ist, kann nicht genügend unterstrichen werden. Jede einzelne Zelle nutzt die Ruhepause, um durch zahlreiche Prozesse inkl. der Autophagie neue Freiräume zu schaffen und Energie zu sammeln. Unser Gehirn räumt in der Nacht auf, sortiert, speichert und aktiviert das glymphatische System. Ohne Schlafhygiene leidet die Qualität des Schlafes in unserem modernen Lebensstil und beeinträchtigt auf vielfältige Weise unsere Gesundheit.
Unzureichender, gestörter und schlechter Schlaf kann sich auf Leistung, Kognition und das Gefühl von Sicherheit auswirken. Darüber hinaus hat eine schlechte Schlafqualität soziale und wirtschaftliche Folgen und prädisponiert Menschen für Fettleibigkeit, übermäßige Tagesmüdigkeit, Unfälle, arteriellen Bluthochdruck, Diabetes, Schlaganfall, koronare Herzkrankheit, Alzheimer-Krankheit, Depression und Angstzustände.

ERNÄHRUNG

Wir sind auch, was wir essen und trinken – soweit eine uralte Erkenntnis des Ayurveda. Mittlerweile ist uns nicht nur subjektiv klar, dass viele Lebensmittel uns schwer oder leicht machen, Arthrose fördern oder die Beweglichkeit und unsere Stimmung erheblich beeinflussen, sondern durch die eindeutigen Forschungsergebnisse auch im Mainstream der Medizin und Ernährungsberatung angekommen. Es ist wichtig gut hydriert zu sein, ausreichend Wasser und wenig andere künstlich angereicherte Getränke zu konsumieren, Alkohol zu meiden (nein – Rotwein ist nicht gesund) und regelmäßig nicht nur ausgewogen, frisch, lokal und saisonal zu speisen, sondern auch fermentierte Lebensmittel in den Speiseplan aufzunehmen dem Darmmikrobiom zuliebe und damit der eigenen Gesundheit einen großen Dienst zu tun.

GUTE GEDANKEN UND GEFÜHLE

Diese haben in großen, doppelt-blind und randomisierten Studien die Psychosomatik aus der Esoterik-Ecke herauskatapultiert. Dass wir vor Sorgen, Angst oder anhaltendem Stress krank werden können, wurde schon sehr lange gewusst und akzeptiert. Das Gegenteil – also die heilende Wirkung von Zuversicht und Selbstwirksamkeit – waren lange Stiefkind der Forschung und der schulmedizinischen Herangehensweise. Die Auswirkungen positiver Gedanken und Kultivierung hilfreicher Gefühle konnten auf Größe und Ausbreitung von Krebserkrankungen, Entzündungen des Bewegungs- und Atemsystems, Herz-Kreislauferkrankungen zweifelsfrei nachgewiesen werden. Wer also könnte uns noch davon abhalten – außer wir selbst – genau dies zu üben. Zur Meditation braucht es weder Geräte noch Kerzen oder spezielle Techniken, die Pflege positiver Affirmationen, Visualisation wohltuender Bilder oder Mantra- Rezitation wirken unabhängig von speziellen Techniken, alleine oder in Gemeinschaft.

SPIRITUALITÄT

Unsere ruhige, gelassene innere Geisteshaltung hat großen Einfluss auf unsere Gesundheit. Der Weg nach Innen bzw. das Bemühen um tiefere Einsichten und Verständnis in komplexere Zusammenhänge kann dazu führen, unserem Leben mehr Sinn und Inhalte zu geben. Dabei spielt es keine Rolle, ob man sich einer Religion zugehörig fühlt oder der göttlichen Dimensionen unseres Daseins überhaupt Bedeutung beimessen möchte. Es geht vielmehr darum, zu spüren, dass wir mit allem um uns herum verbunden sind, nicht autark und allein durch unser Leben wandeln. Welche Herangehensweise auch immer wir wählen, um unserem Leben einen Sinn und unseren Tätigkeiten eine über das eigene selbstbezogene Sein hinaus positive Bedeutung zu geben, führt unabhängig davon zu mehr Vitalität, Wachheit und Gesundheit.

LIFESTYLE

Wir sind, wie wir leben, oder zeige mir dein Wohnzimmer und ich sage dir, wer du bist stimmt zwar nicht immer, aber meistens. Unsere Realität gestalten wir fortwährend selbst und fortwährend wirkt unser Handeln auf uns zurück. Diese Erkenntnis ist so ubiquitär und alt wie die philosophischen Systeme in allen Kulturkreisen selbst. Die Wichtigkeit, in Synchronisation mit der Natur zu leben, deren Teil wir sind, gute Sozialkontakte und Nähe zu pflegen, einander zu helfen, zuhören und in Verbindung zu treten gehen über die derzeit verbreiteten Lifestylideen zum schöneren Wohnen, besseren Essen und luxuriösen Urlauben hinaus. Was wirklich zählt, um gesund älter zu werden, ist mit Bequemlichkeit und den meisten fortschrittlichen Errungenschaften nicht zu bekommen. Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass wir der evolutionsgeschichtlichen Werdung zum Menschen mehr Bedeutung beimessen sollten. Kälte und Wärme, Hitze und Regen, Tageslicht von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, nächtliche Dunkelheit, Hunger und Fülle, Herausforderungen und entspannte Ruhe, Gemeinschaft und Gespräche, Singen und Tanzen… sind überaus wichtige Faktoren für ein gut trainiertes Immunsystem und damit – so ist es hoffentlich klar geworden – unsere Gesundheit insgesamt.
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