OSTEOPOROSE – KNOCHEN STÄRKEN MIT YOGATHERAPIE

YOGATHERAPIE IST NICHT MEDIZIN

Der Wunsch von Yogaübenden, auch außerhalb des schulmedizinischen Rahmens konkrete Hilfestellungen zu bekommen, wächst stetig. Neben den schulmedizinischen Maßnahmen wie der Vitamin D-Substitution, lichtreiche Spaziergänge zu unternehmen, Bisphosphonate zu verordnen und dem Rat, am Rehasport teilzunehmen, können wir mit der Yogatherapie noch weitere, wunderbare Möglichkeiten erschließen.

Gerne möchten wir gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass sogenannte sekundäre Osteoporosen, die z.B. als Folge von Fehl- oder Mangelernährung oder als Nebenwirkung zahlreicher Medikamente in jedem Lebensalter auftreten können, an der jeweiligen Ursache mitbehandelt werden müssen!

YOGATHERAPIE – EIN MULTIMODALES THERAPIEKONZEPT

Die künstliche Trennung unseres Denkens und Fühlens von unserem Körper ist eine Idee des analytischen Denkens. Im Yoga wurde und wird diese Trennung nicht vollzogen. Ganz klar manifestiert sich unser Denken und Fühlen für jeden erlebbar im Körper und umgekehrt beeinflusst unser körperliches Befinden sehr stark unser kognitives und emotionales Sosein. Wir strahlen Zuversicht beispielsweise ebenso körperlich aus wie Angst, Stress oder Kampfbereitschaft und erleben im Zustand körperlichen Wohlbefindens, z.B. bei einem schönen Spaziergang allein oder mit einem lieben Menschen, eine ganz andere, befreite Geisteshaltung. Im Kontext der Yogatherapie nutzen wir konsequent beide Wege – top-down und bottom-up – um unsere Knochendichte gezielt zu beeinflussen. Auf der ethischen Basis der Yama und Niyama (z.B. gewalt- und schmerzfrei, interessiert, ruhig, …) üben wir kräftigende Haltungen und Bewegungen, um unsere Muskulatur und dadurch unsere Knochen zu stärken und tonisieren die Rumpf-Muskulatur durch die Atmung, um daraus nicht nur eine höhere körperliche Stabilität, sondern auch Entschlusskraft und Klarheit des Geistes zu erzielen. Yogische Techniken können ebenso wie grundlegende Überlegungen des Ayurveda ganz einfach eine Weile auf das Problem der schwindenden Knochendichte ausgerichtet werden und großen Einfluss nehmen. Unbehandelt kann Osteoporose bei Frauen nach der Postmenopause und später auch bei Männern z.B. zu Wirbelkörperfrakturen (sogenannten Sinterungsfrakturen) mit Keil- und Fischwirbelbildung und zunehmender Kyphosierung der Brustwirbelsäule und im höheren Alter bei Stürzen zu Brüchen des hüftgelenksnahen Oberschenkelknochens (sogenannte Schenkelhalsfraktur) oder Handgelenk- und Schulterfrakturen führen. Dies sind die häufigsten Frakturen des älteren Menschen. Da die Osteoporose das ganze Skelett betrifft, sind jedoch alle zu wenig oder unbelasteten Bereiche des Körpers weniger Widerstandfähig und damit anfälliger für Störungen oder Brüche. Leider wird die Abnahme der Knochendichte oft ohne:

  • den damit einher- bzw. vorausgehenden Schwund der Muskulatur diskutiert
  • die Wichtigkeit des Knochengewebes für unsere anderen Systeme (Immunsystem, Nervensystem, Muskelgewebe, Herz-Kreislaufsystem, PH-Wert-Regulation) und somit für unsere Homöstase zu erwähnen
  • die einfachen uns selbst durchführbaren Möglichkeiten der Betroffenen aufzuzeigen

Es bleibt also die Frage: Was und konkret auch wie können wir mit Yogatherapie die Geweberegeneration anregen?

GEWEBE DES KÖRPERS UND IHRE BEANSPRUCHUNG

Um ein yogatherapeutisches Behandlungskonzept zu entwickeln ist es sinnvoll, sich die betroffenen Körpergewebe und ihre spezifischen Bildungsreize anzuschauen. Es gibt Knorpelgewebe, Knochengewebe, Nervengewebe, Muskelgewebe und Bindegewebe, von ganz locker angeordnet bis hin zu hoch spezialisiert, wie wir es bei Faszien, Sehnen und Bändern sehen können. Alle Gewebe wirken miteinander in günstiger Wechselbeziehung und dennoch brauchen sie bestimmte Reize, um gesund und kräftig zu bleiben. Beim Knochen als dem bei der Osteopenie und Osteoporose hauptsächlich betroffenen Gewebe ist das relativ einfach: er braucht Druck! Selbst gesunde, junge Astronauten, die für Osteoporose keineswegs anfällig sind, entwickelten im Weltraum außerhalb der Schwerkrafteinwirkung und damals ohne die Möglichkeit zum Muskelaufbau bereits nach wenigen Wochen brüchige Knochen. Alle Knochen, die wir nicht auf die unterschiedlichste Art und Weise belasten, werden abgebaut. Bei Frauen verläuft dieser Prozess nach der Menopause aus unterschiedlichen Gründen rascher als bei Männern. Gewusst seit alters her und nun spezifiziert durch zahlreiche Studien zum statischen und dynamischen Krafttraining sowie zuletzt auch für intensive Gewichtsbelastungen selbst bei fragilen Knochen durch die Liftmor-Studie und die Liftmor-M-Studie ist klar, dass wir unsere Knochen über das tägliche Gehen in der Natur hinaus direkt durch den Erhalt und Aufbau unserer Muskulatur sowie die Nutzung der Schwerkraft – selbst im hohen Alter – verbessern können. Knochen ist hochlebendig und regeneriert sich fortlaufend. Der Prozess des Knochenumbaus wird von den Autoren dieser Studie intensiv und mit vielen neuen Aspekten wunderbar beschrieben.

In der Psycho-Neuro-Immunologie ist das enge Zusammenspiel zwischen unseren Erlebnissen und dem was wir daraus durch unser Denken und Fühlen machen, also der Bewertung unseres Erlebens, schon lange Gegenstand der Erforschung möglicher Interventionen. Das auch biologische, also physische Wechselwirkungen mit in Betracht gezogen werden, erweitert die Komplexität des Bemühens auch in der Forschung, unsere menschliche Natur zu verstehen. Zunehmend finden sich Hinweise darauf, dass die Jahrtausende alten Einsichten und die Weisheiten des Volksmundes, also unserer Altvorderen, zwar in anderer Sprache gesagt und ohne analytische Benennung einzelner Moleküle, Atome, Mineralien usw. ausgedrückt wurde, aber dennoch den Tatsachen entspricht. Wir bekommen tatsächlich rasant graue Haare, wenn Sorgen und Stress die Überhand nehmen. Und ganz wirklich stimmt es auch, dass uns z.B. die Angst in den Knochen sitzt und wir Glück ausstrahlen. Im Knochen werden Phosphate (85%), Mineralien (Magnesium (60%), Kal zium (95%), Kalium u.a), Salze, viele Mikronährstoffe gespeichert und bei Bedarf freigesetzt. Sobald wir es mit der Angst zu tun bekommen oder in Stress geraten – und hier liegt der Zauber des Knochens und vielleicht der Schlüssel zu einem tieferen Verständnis und größerer Dankbarkeit und Sorgfalt im Umgang mit diesem Gewebe – wird der Körper für die sympathikotone Reaktion, bekannt als Flucht- oder Kampfreaktion, mobilisiert. Wir werden in die Lage versetzt zu handeln, unseren Herzschlag zu beschleunigen, Muskeln anzuspannen und loszulaufen, tiefer zu atmen und vieles mehr. Allerdings braucht jede Muskelanspannung viel Magnesium und Phosphat, da es essentiell für die Energiegewinnung jeder Zelle ist, um Adenosintriphosphat herzustellen. Dieses Molekül ist eine universelle Energiewährung unseres Körpers und seine Gewinnung geschieht in den Mitochondrien der Zellkerne. Da unser Knochen in ruhigen Phasen seine Speicher aus der Nahrung und dem Blut gefüllt hat, ist er dann in der Lage uns in Zeiten der Angst und des Stresses, blitzschnell die notwendigen Bausteine zur Energiegewinnung bereit zu stellen. Jeder Gedanke führt, noch bevor wir bewusst und durch hormonelle und neurologische Kaskaden getriggert bereit sind wegzulaufen, auf Knochenebene zur Ausschüttung der gespeicherten Baustoffe. Wie großzügig, sensibel, vorausschauend und aufopferungsvoll unsere Knochen durch ihre Reaktionsweise unser Überleben sichern, ist erst in den letzten Jahren intensiver Forschung klar geworden. Wie sehr krankmachen und auslaugend andauernde, chronische Stresszustände sich auswirken, wird aber dadurch ebenfalls klarer und vielleicht können mit diesem Wissen bewusster und engagierter dafür sorgen, dass es unseren Knochen und damit uns immer wieder auch gut geht? Mir hilft jedenfalls das Verständnis, meine Motivation zu erhöhen um mein Erleben dann so zu verändern, dass es immer müheloser möglich wird, die Dinge zu tun von denen ich weiß, dass sie mich nähren

ZIELE DER YOGATHERAPIE BEI OSTEOPOROSE

Ziele einer yogatherapeutisch auf den Knochen als Gewebe abzielenden Behandlung sind:

  • einen gesunden und kräftigen Knochen zu erhalten oder zu erlangen
  • unsere Muskulatur zu stärken, um ausreichenden Druck auf die Knochen auszuüben
  • die Schwerkraft zu nutzen, um unser Bewegen im Raum und die damit verbundene, variantenreiche und natürliche Belastung unserer Knochen zu erhöhen
  • axialen Druck bei Haltungen und Bewegungen auf der Matte und im Alltag zu lernen
  • unser Gleichgewicht zu stärken, um nicht ungewollt mit der Schwerkraft zu stürzen und dadurch Knochenbrüche zu riskieren
  • die Koordination zu schulen, damit schützende und nährende Bewegungen geschmeidiger, langsamer und schneller ausgeführt werden können (z.B. beim Sturz)
  • unser Denken und Fühlen für uns und nicht gegen uns einzusetzen; Zuversicht, Achtsamkeit und das Bewusstsein für den eigenen Beitrag zur Heilung sind unsere größten Ressourcen
  • das Verständnis der Bedeutung der Knochen für unseren Organismus zu vertiefen
  • unsere Ernährung mit einfach Mitteln sinnvoll und aufbauend zu verändern
  • ayurvedische jahrtausende alte Rezepturen zu nutzen, um das “vata dosha” zu senken

PRAKTISCHE ÜBERLEGUNGEN UND ANWENDUNG DER YOGATHERAPIE BEI OSTEOPOROSE

  • Osteoporose ist aus ayurvedischer Perspektive eine klassische „vata dosha“ Dysbalance mit Schwund bzw. Demineralisierung des Knochens. Diesem geht der Schwund der Muskulatur, ein Vorgang, der Sarkopenie genannt wird, meist voraus. Die verminderte Knochendichte führt im Verlauf zu einer Anfälligkeit des Knochens für Verformungen und Brüche. Aus ayurvedischer Sicht würden wir darauf achten, dem Körper besonders nährende und aufbauende Substanzen zuzuführen insbesondere durch Öle, Heilkräuter und Einläufe und natürlich der Anpassung des Lebensstiels.
  • Knochen benötigen zu Beginn der Übungspraxis eine sichere, axiale Belastung. Für die Wirbelsäule ist dies die Neutralstellung mit ihren sanften Schwingungen. Für alle Gelenke am Körper, inklusive der über 90 wirbelsäulennahen Gelenke, gibt es eine Mittelstellung, in der alle Gewebe des Körpers ihre größte Resilienz besitzen. Dort sollten wir mit unseren Übungsangeboten beginnen.
  • Knochen können im Zustand der osteopenischen oder osteoporotischen Schwächung vor allem Biegespannungen und Scherkräfte außerhalb der Mittelstellung zunächst nicht gut tolerieren, weswegen wir yogatherapeutisch endgradige Bewegungen in alle Richtungen, also Beugung, Streckung, Seitneigung und Rotation, vermeiden.
  • Angst schürt Stress und gemeinsam führen sie zu Vermeidungsverhalten und häufigeren Sturzereignissen. Yogatherapeutisch sind Zuversicht, Koordination und Balance neben der Kräftigung der Muskulatur in sicheren, individuell angemessenen Ausgangsstellungen und natürlichen, variantenreichen Bewegungen im Raum höchst effizient.

Konkrete Vorschläge für uns als LehrerInnen oder Betroffene sind:

  • Die Erarbeitung der Neutralstellung der Wirbelsäule mit ihrer doppelten S-Form im Āsana zu erarbeiten und ihre Anwendung im Alltag zu ermutigen. Die häufig bei Betroffenen beobachtete nachlässige Sitzhaltung belastet die Wirbelsäule ungünstig.
  • Verminderte Muskelmasse, Kraft und Ausdauer gehen dem Verlust der Knochendichte häufig voraus oder damit einher. Der Muskelaufbau für den Rumpf, den Schultergürtel und die Becken-Oberschenkelmuskulatur in variantenreichen Haltungen des Stehens, Sitzens, Liegens und auf allen Vieren ist essenzieller Bestandteil der yogatherapeutischen Intervention. Wichtig im Hinblick auf die Sturzprophylaxe sind auch die Stabilisierung der Hände und Füße. Die Füße um auf den Beinen zu bleiben, die Hände und Unterarme, weil sie die häufigsten Brüche des älteren Menschen darstellen und wir uns beim Stürzen damit oft abstützen.
  • Kraftaufbau wird ab einer Belastung von dreimal pro Woche für mindestens 15 Minuten gefördert und wie immer sollten wir dabei von leicht nach schwer vorgehen.
  • Alignment ist wichtig. Grundvoraussetzung ist die Schaffung eines Rumpfmuskelkorsetts zur Aktivierung der Bauch-, Beckenboden- und Rückenmuskeln, ohne sich dabei zunächst die Wirbelsäule krumm bzw. rund zu machen. Je mehr Belastung auf die Füße gelegt wird, also besonders in Standhaltungen, desto wichtiger ist der Aufbau der Fußgewölbe. Bei den Handgelenken ist zu beachten, das ältere Menschen oft nicht mehr die volle Beweglichkeit der Handgelenke für Extension haben und wir deshalb die Hände NICHT unter die Schultern platzieren lassen sollten.
  • Einfache Āsana sind meist sehr effektiv, da sie sowohl regelmäßig als auch ohne großen Aufwand (Kleidungswechsel, Mattenbenutzung) geübt werden können. Besonders günstig sind symmetrische und asymmetrische Standhaltungen, Balance- und Koordinations-Haltungen und Bewegungen, Krafthaltung im Vierfüßlerstand oder Stützhaltungen auf Händen und Füßen.
  • Das Üben von Techniken mit langer und vollständiger Ausatmung (z. B. durch die Ujjayi-Atmung) erhöht die Energie des Übenden und stärkt die Muskulatur (z.B. Beckenboden- und Bauchmuskulatur). Die kurzen und ohne Ehrgeiz geübten Kumbhaka können zu einem erhöhten Energielevel führen und unsere innere und äußere Haltung günstig beeinflussen.
  • Kokontraktion beschreibt die zusätzliche, bewusste Anspannung von Muskeln, die nicht unbedingt zur Ausführung eines Āsana nötig sind, aber die Stabilität der Haltung und den auf die Wirbelsäule und anderen Knochen ausgeübten axialen Druck erhöhen und ist als Technik sehr hilfreich, um die Übungsdauer zu verkürzen. Zu diesem Zweck und um den Druck auf die Knochen und die Beanspruchung der Muskulatur im Verlauf zu steigern, empfehle ich meinen Klienten auch gerne das kurzzeitige Tragen einer Gewichtsweste bei sicheren Alltagsbewegungen.
  • Meine Erfahrung ist, dass die Anzahl der gezielten Āsana pro Übungssequenz fünf bis sechs normalerweise nicht übersteigen sollte, damit die Regelmäßigkeit und die Verinnerlichung der Abläufe leichter fallen.
  • Meine Erfahrung ist auch, das einfache Techniken der Meditation, sofern die Betroffenen sich darauf einlassen mögen, das Wohlwollen, die Zuversicht und das Selbstvertrauen verbessern.
  • In meiner Praxis empfehle ich ausgewählten PatientInnen auch Zusatzgewichte wie möglichst symmetrisch getragene Einkaufstaschen oder eine Gewichtsweste zu nutzen.

ZUM ABSCHLUSS

In der Demut steckt auch der Mut! Je früher wir beginnen, uns auch um uns selbst zu kümmern und sowohl der Vorbeugung mehr Raum geben als auch die Therapie aktiv und selbst zu gestalten, desto leichter können wir motiviert in eine gute Richtung leben. Euch und Ihnen viel Freude, Zuversicht und Kraft!
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